Demenz, Pflege & Betreuung, Wertschätzung

Gibt es mehr als eine Sichtweise?

Marianne H. 48 (Tochter von Hr. H.)

Es war heute ein absolut stressiger Tag im Büro. Keine Ahnung was los war, irgendwie haben alle verrückt gespielt. Zuerst die Telefonstörung gleich am morgen, dann die Probleme mit einem aufgeregten Kunden. Eine nie enden wollende Besprechung und mein Kollege, der heute extrem laut war.

„Vielleicht ist bald Vollmond-oder es liegt am Wetter?!“

Egal, ich habe mir für heute vorgenommen meinen Vater im Pflegeheim zu besuchen. Letzte Woche ging es nicht, daher muss es heute sein. Bestimmt verlässt er sich darauf dass ich heute komme. Nach diesem Tag möchte ich eigentlich am liebsten gleich nach hause, die Badewanne voll laufen lassen, mit einem guten Buch ins warme Wasser eintauchen, Gedanken abschalten und entspannen.

Aber egal-ich war letzte Woche nicht bei Papa-er verlässt sich bestimmt darauf dass ich heute komme-ich hab’s versprochen. Seit Mama nicht mehr da ist hat er ja nur noch mich.

Als ich um 16:30 in sein Zimmer im Pflegeheim komme, stelle ich genervt fest, dass er nicht da ist. Ich habe mich an diesem schrecklichen Tag durch diesen furchtbaren Nachmittagsverkehr hierher gehetzt und nun ist er nicht da!

Jetzt kann ich ihn auch noch suchen.

Natürlich finde ich ihn im „Jausenstüberl“, wo er fröhlich lachend mit irgendeiner Pflegerin Scherze treibt-das hat er doch immer schon gerne gemacht-das hat Mutter schon immer aufgeregt-immer charmant mit anderen Frauen.

„Hallo Papa, komm wir gehen in Dein Zimmer, ich hab‘ dir deine Zeitschriften mitgebracht die du unbedingt wolltest!“ „Ich hab‘ mich extra her gehetzt!“

Er hört mich ja gar nicht! Wieder einmal typisch. So war er immer. Und verdammt was hat er da für ein T-Shirt an? Es ist total verdreckt-ein großer roter Fleck! Was soll denn das? Schaut da keiner drauf? Dieses Heim kostet soviel Geld und dann achtet keiner drauf was mein Vater an hat? Ich werde gleich die Stationsleitung fragen was das soll……..

Gerda P. Pflegerin

Der heutige Dienstbeginn hatte es wirklich in sich. Um 6:00 haben wir auf der Station die Information erhalten dass eine Kollegin krank ist. Da ein Kollege auf Urlaub ist, wird es heute bestimmt ziemlich eng. Naja, was soll’s, wird schon irgendwie gehen-so wie immer.

Hr. H. spürt sichtlich auch dass es heute etwas stressig ist. Zuerst möchte er gar nicht aufstehen, was aber total in Ordnung ist-auf dieser Demenzstation arbeiten wir tatsächlich nach dem Empfinden unserer Bewohner. Ich bin so froh, dass wir hier die Möglichkeit haben auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen einzugehen-das ist leider nicht überall so-ich habe in den vielen Jahren im Pflegedienst echt schon ganz anderes erlebt. Ja, der Zeitdruck ist überall ein Thema. Zuwenig Personal, zuwenig Zeit.

Wer versteht schon wie es dir dabei geht wenn du merkst dass von den tollen Vorsätzen während deiner Ausbildung in der Realität wenig überbleibt.

Und doch, es macht mich so glücklich und froh in ein Gesicht zu sehen dass soviel erlebt hat, so vieles wiederspiegelt. Menschen die genauso wie ich ihr Leben gelebt haben-vielleicht selber Kinder großgezogen haben, ihren Beruf gehabt haben und genau diese Dinge getan haben die ich tue. Nun sind sie hier auf einer Demenzstation. Oft frage ich mich „wie möchte ich, dass mit mir einmal umgegangen wird?“

Hr. H. versucht sich heute sein T-Shirt selbst anzuziehen. Das gelingt ihm sonst nur mit meiner  oder der Hilfe einer Kollegin und obwohl er heute irgendwie ungeduldig wirkt, schafft er es doch tatsächlich selbst! „Bravo Berti!“ Wir sprechen unsere Bewohner prinzipiell mit Familiennamen an aber Hr. H. wurde zu Beginn seiner Betreuung immer sehr ungehalten und aus seiner Biographie wissen wir dass er „Hr. Berti“ bevorzugt.

Als Hr. H. endlich mühsam in seinem T-Shirt drinnen ist, sehe ich den ziemlich großen roten Fleck an seiner linken Seite-Brusthöhe. Ach was soll’s. Es ist ja nur ein Fleck. Er hat sich so große Mühe gegeben sich selbst anzuziehen.

Hr. H.(Berti) 86

Heute ist ein wichtiger Tag!

Ich hab‘ gar nicht gut aufstehen können, ich war so müde. Dann war ich so ungeduldig weil es einfach nicht mit meinem Hemd geklappt hat.

Aber ich hab‘ es geschafft. Andauernd wollte mir die Frau helfen aber ich habe mir immer mein Hemd selbst angezogen. Warum sollte das jetzt anders sein? Ehrlich es war schon ein bisschen anstrengend- keine Ahnung warum.

Heute ist doch der wichtige Tag!

Heute frage ich Hannelore ob sie meine Frau werden möchte!

Ich habe mir extra für sie das weiße Hemd angezogen und die rote Nelke angesteckt-Hannelore liebt rote Nelken-ich hoffe sie nimmt meinen Antrag an.

GIBT ES MEHR ALS EINE SICHTWEISE

JA NATÜRLICH. Denn die gibt es immer.

Es gäbe z.B. auch noch die Sichtweise der Pflegedienstleitung die sich mit einer möglichen Beschwerde von Marianne H. konfrontiert sieht.

Möglicherweise kann sie an diesem Tag der vorgebrachte „Beschwerde“ einer Angehörigen nicht emphatisch begegnen?

DER KÖRPER MUSS ES IMMER AISHALTEN

All diese Erlebnisse und Emotionen können Spuren hinterlassen.

Bei jedem der Betroffenen.

Wie wäre es für jeden der Betroffenen, wenn es etwas gäbe, dass diese Erlebnisse leichter lösbar macht?

https://www.hoess-impulse.com/FUeR-WEN-IST-MEINE-METHODE-GEEIGNET/

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